Der Raum. Gut ins Bild gesetzt.

 
 

Die Möglichkeit der Darstellung von Raumtiefe und der Umgang mit Licht bestimmen in hohem Masse wie ein Raum im 360° Film wahrgenommen wird.

Monoskopische versus stereoskopische Aufnahme

Stereoskopische Aufnahmen erzeugen zusätzliche Raumtiefe, was bei einem 360°Film das Raumerlebnis intensivieren kann.

Bei monoskopischen 360°Aufnahmen ist zu empfehlen, die priorisierte Handlung vor einer der Kameralinsen abspielen zu lassen. Bei einer stereoskopischen Aufnahme ist es dagegen wichtig, die 360°Kamera so zu platzieren, dass die interessanten Aktivitäten zwischen zwei Linsen ausgeführt werden. Wenn beide Kamerasensoren die Handlung aufgenommen haben, kann daraus ein gutes stereoskopisches Bild erzeugt werden. Ein weiterer wichtiger Punkt, der die Qualität der stereoskopischen Aufnahme beeinflusst, ist die Distanz zwischen dem zu filmenden Objekt resp. der Handlung und der Kamera. Kamerahersteller geben unterschiedliche Angaben zum idealen Abstand zur Erzeugung eines optimalen 3D-Effekts.

Basierend auf den Erkenntnissen aus dem Forschungsprojekt empfehlen wir einen Minimalabstand von 0.5 m. Wir raten auch hier, Tests zu machen um dem gewünschten Effekt der Tiefenwahrnehmung möglichst nahe zu kommen.

Zusätzlich ist es wichtig, die Kamera zu stabilisieren. Ansonsten sind ungewollte Nebeneffekte wie «Motion Sickness» nicht auszuschliessen. Dies ist besonders bei stereoskopischen 360°Filmen sehr wichtig, weil die 3D Technik die Bewegungseffekte noch verstärkt. Ist eine Aufnahme mit bewegter Kamera geplant, sollte die Bewegung jeweils nur auf einer Achse erfolgen (X, Y oder Z). Neuere 360°Kameras verfügen über bessere Stabilisierungs-Funktionen. Trotz dieser systemseitigen Unterstützung empfehlen wir auch da, die Kamera so gut wie möglich mechanisch zu stabilisieren. Um optimale Stitching-Ergebnisse zu erhalten, sollte die Kamera möglichst waagerecht platziert werden. Ein gutes Stativ mit Wasserwaage bietet hier Vorteile.

Low Light

360°Filmkameras verfügen in der Regel nicht über grosse Bildsensoren. Aus diesem Grund brauchen sie viel Licht, um gut belichtete Bilder mit einer hohen Detailtreue zu erzeugen. Diese wird benötigt um das Bildmaterial in der Post-Produktion präzise zusammenzufügen. Um bei einem Dreh an einem Ort mit wenig Licht zu möglichst gutem Ausgangsmaterial zu kommen (bspw. Nachtaufnahme), gibt es unterschiedliche Ansätze. Möchte man einen Raum im Dunkeln sichtbar oder nur einzelne Lichtquellen im Schwarz festhalten? In der ersten Variante ändern wir die Kameraeinstellungen über die integrierte Histogramm-Funktion anhand der dunkelsten Stelle im Raum (exposed to the left) und bei der zweiten passen wir sie den Lichtquellen an (exposed to the right).

 
Abb.: Beispiel einer Histogramm-Darstellung wie sie bei Kameraeinstellungen neuerer Modelle verfügbar ist.

Abb.: Beispiel einer Histogramm-Darstellung wie sie bei Kameraeinstellungen neuerer Modelle verfügbar ist.

 

Bei kleineren 360°Kameras wie zum Beispiel der GoPro Fusion, der Insta 360 oder Rico Teta kann die Empfindlichkeit durch das Heraufsetzen der ISO Anzahl erhöht werden. Es ist jedoch Vorsicht geboten. Die Bildsensoren erzeugen ab ISO 400-800+ ein starkes Bildrauschen. Teile dieses Rauschens können in der Post-Produktion mit Plugins wie NeatVideos Denoiser oder andere denoising-Plugins reduziert werden. Es ist aber sehr ratsam, nicht alleine auf diese softwareunterstützten Möglichkeit zu vertrauen, sondern ein möglichst optimal belichtetes Grundmaterial anzustreben. Oft treten bei nachträglichen Korrekturen unerwünschte Nebeneffekte wie Farbveränderungen oder der Detailverluste auf.

Eine zweite Möglichkeit bietet das Erhöhen der Verschlusszeit. Diese kann man bei der GoPro Fusion nicht direkt anpassen, sondern nur über die Framerate. Je weniger Licht zu den Sensoren gelangt, desto längere Verschlusszeit wird von der GoPro eingestellt. Dies wird besonders dann problematisch, wenn sich der zu filmende Gegenstand bewegt. Deshalb ist es bei Low-Light-Aufnahmen empfehlenswert, die Kamera entweder auf einem Stativ oder an einem Gegenstand zu fixieren. So entsteht weniger Bewegungsunschärfe.

Aus der Praxis

Innerhalb des Forschungsprojekts wurden zwei 360°Filme begleitet, die in lichtarmen Umgebungen gedreht wurden. Zum einen war dies CAVES von Carlos Isabel Garcia und zum Andern der Film NACHTSPIEL von Robert Müller und Christophe Merkle. Die daraus gewonnen Erkenntnisse bilden die Basis für die folgenden Ausführungen.

Abb.: 360°Film-Still aus CAVES (2021) von Carlos Isabel Garcia.

Abb.: 360°Film-Still aus CAVES (2021) von Carlos Isabel Garcia.

Bei CAVES wurde versucht, die Höhle und die Aktivitäten der Höhlenforscher so gut wie möglich mit Hilfe von künstlichem Licht zu zeigen. Für die Dreharbeiten wurde die GoPro Fusion und Scurion Led-Lampen eingesetzt. Die Höhlenforscher kletterten rund 6-10 Stunden durch die Höhlen. Daher war es wichtig, genügend Batterien für die Lichter und Kamera dabei zu haben. Zusätzlich wurde die Framerate auf 25 FPS (frames per second) reduziert, damit die GoPro Fusion längere Verschlusszeiten nutzen und somit hellere Bilder erzeugen kann. Weiter wurden in der Post-Produktion mit Hilfe von Farbkorrektur-Tools die Schatten angehoben und Highlights heruntergenommen. In der Herangehensweise wurden jegliche Optionen gewählt, damit die Umgebung so hell wie möglich erscheint mit dem Risiko, dass die Lichtquellen überbelichtet werden und ausbrennen. Dies ist die Exposure to the Right Philosophie.

Abb.: Still aus NACHTSPIEL (SRF, 2019) von Robert Müller und Christophe Merkle

Abb.: Still aus NACHTSPIEL (SRF, 2019) von Robert Müller und Christophe Merkle

Bei NACHTSPIEL wurde der Fokus auf das Feuerspiel gelegt und die Umgebung im Dunkeln belassen. Die Herausforderung bestand darin, das Feuerwerk trotz Überbelichtungen mit möglichst wenig Verlust an Farbinformation aufzunehmen. Zusätzlich wurde beabsichtigt, die schnellen Bewegungen des Feuerwerks so flüssig wie möglich darzustellen. Aus diesem Grund wurde mit der Insta360 Pro und mit 60 FPS gedreht. Um die Bewegungsunschärfe möglichst tief zu halten wurde zusätzlich die Verschlusszeit auf das doppelte der Frames per Second Zahl festgelegt. Es empfiehlt sich vorab mit diesem Verhältnis zu experimentieren und innerhalb von Testreihen die optimale Abstimmung zu suchen, da in der Post-Produktion nur noch kleine Korrekturen möglich sind.

Um das Zusammenfügen der Bilder zu vereinfachen wurde die Umgebung vor dem Zünden des Feuerwerks durch künstliches Licht beleuchtet und aufgezeichnet. Mit dieser Referenzaufnahme war es in der Post-Produktion möglich im Programm ein Stitching-Template zu erstellen und Anpassungen an Horizont und Hintergrund vorzunehmen. Dies war besonders wichtig, weil NACHTSPIEL in stereoskopischen 360° gedreht wurde.

Bei Nachtaufnahmen mit schlechten Lichtverhältnissen gilt die Herausforderung, die perfekte Balance zwischen ISO und Verschlusszeit zu finden. Es empfiehlt sich auch hier die Parameter zu prüfen und verschiedene Testaufnahmen durchzuführen und diese im VR Headset zu prüfen. Bei Nachtspiel wurde erst nach dem dritten Test entschieden, welche Einstellungen verwendet werden sollen. Gedreht wurde mit 60FPS und 1/120 Verschlusszeit sowie 400 ISO im Flat Color Mode. Mit 60FPS erscheinen die Bewegungen vom Feuerspiel viel flüssiger, insbesondere wenn sie mit einem Head Mounted Display betrachtet werden.

Wir empfehlen die ISO Anzahl nur im Notfall über 400 und die Verschlusszeit nicht unter das doppelte der Framerate einzustellen. Um weitere Möglichkeiten in der Farbkorrektur zu erhalten, empfehlen wir bei der GoPro Fusion den ProTune Modus und mit anderen Kameras den Flat Color Mode zu aktivieren. Falls der 360°Film nur auf Youtube oder Facebook betrachtet wird, kann die FPS bei 24 eingestellt bleiben. Falls er auf einem HMD angeschaut werden soll, raten wir die FPS so hoch wie möglich einzustellen.

Weiterführende Links zum Thema

http://360rumors.com/2018/03/exposure-360-cameras-low-light.html

https://www.youtube.com/watch?v=z578Ex50CBY