Ton im 360° Film

Vom Raumklang zum Klangraum

Mit den richtigen Werkzeugen zum immersiven Ton

 
 

Ton als wichtiger Aspekt des Storytellings

Das Gehör ist einer der wichtigsten Sinne des Menschen. Es ermöglicht ein räumliches Bild der Umgebung und Aktivitäten wahrzunehmen, die ausserhalb unseres Seefeldes stattfinden. Auch die psychoakustischen Phänomene geben Aufschluss darüber, wie wir eine durch Klang erzeugte Situation interpretieren, ob wir diese als schön, bedrohlich, grell, tief, nah, über oder hinter uns einordnen. Die Möglichkeiten des Tons auch im 360° Film nutzen zu wollen liegt auf der Hand, denn die Authentizität einer Szene oder die Nachvollziehbarkeit von Handlungsmotiven kann durch die akustische Umsetzung massgeblich unterstützt werden. Oder anders: wenn Bild und Klangumgebung im Film zu einer synergistischen Einheit werden, wirkt eine Situation glaubwürdig und nachfühlbar.

Ton im 360°Film 
Im Kino ist räumlicher Ton schon länger zum Standard geworden. Die meisten Filme sind 5.1 gemischt, also ein Kanal wird vorne in der Mitte wiedergegeben, einer links und einer rechts davon sowie der vierte und fünfte Kanal hinten, ebenfalls aufgeteilt in links und rechts. Im 360°Film sind alle technischen Gegebenheiten da, um noch einen Schritt weiter zu gehen. Mit relativ wenig Aufwand kann ein Raumton erzeugt werden, der nicht nur Bezug nimmt auf alle gewünschten Richtungen, sondern zusätzlich auch auf die Distanz, aus der er vernommen werden soll. Die technischen Möglichkeiten sind vorhanden und die Umsetzung ist vergleichsmässig günstig und mit wenig Risiken verbunden. Die Wirkung eines raumbezogenen Tons ist bei der Rezeption mit HMD und gutem Kopfhörer gross und unterstützt die Immersion in hohem Masse.

Mit dem Aufkommen von 360°Filmen entstand ein neues Desiderat bezogen auf die räumliche Inszenierung von Ton. Durch neue digitale Technologien wird eine auditive Raumwahrnehmung möglich. Wer in einem Kino mit Dolby Athmos sitzt, wird – möglicherweise mit Begeisterung – feststellen können, wie z.B. Flugobjekte deutlich hörbar über den Kopf gleiten, hinter einem kurz aufsetzen und dann wieder rechts, ganz nah vorbei, nach vorne fliegen. Was aber, wenn wir in der Szenerie auf einem fliegenden Pferd sitzen und das Flugobjekt unter uns durchfliegen soll, der Ton als klar von unten wahrnehmbar erscheinen soll?

Mit der 360°Tontechnik werden solche Toninszenierungen umsetzbar. Akustisch befinden sich die Zuhörer*innen in der Mitte einer Kugel. Das Schallereignis kann innerhalb dieser in jeder Entfernung platziert und wahrgenommen werden. Dies ist möglich, weil der 360°Filmton nur auf Kopfhörern wiedergeben wird. Störende, schallphysikalische Eigenschaften der realen Umgebung wie Absorption, Reflexion oder Maskierung können so ausgeblendet werden (Absorption im Sinne von «Aufnehmen», Reflexion von «Zurückwerfen» und Maskieren von «Zudecken»). Es entsteht eine ‘grüne Wiese’ auf der die Konzeption und Gestaltung der Tonszenerie nahezu ohne Limiten angegangen werden kann. Es gelten aber auch im 360°Film folgende Regeln:

  • Die Konzeption soll im Hinblick auf den Inhalt und die Zielmedien erfolgen.

  • Der Ton soll die ihm zugewiesene Funktion übernehmen (syntaktisch, dramaturgisch, technisch etc.)

Technische Aspekte der 360° Tontechnik 

Spatial Audio:  Neue Möglichkeiten in der Audio-Objektplatzierung
Spatial (aus dem lateinischen spatium = Raum) steht hier für Raumklang-Simulation. Im Film ist die authentische Wirkung eines Klangraumes davon abhängig, wieviel Freiheit wir haben, Audioobjekte in einem Raum zu platzieren. Unter Audioobjekt verstehen wir eine Klangquelle. Diese kann starr oder beweglich sein.

Starre Audioobjekte ändern ihre Position im Verlauf der Zeit nicht. Dies sind z.B. Erzähler (Voice-Over),  nicht diegetische Musik/ Soundscapes oder Umgebungsgeräusche, sofern die Perspektive in einer Szene fix bleibt.

Bewegliche Audioobjekte ändern ihre Position im Verlauf der Zeit, z.B. Dialoge während sich die Akteure bewegen, Dialoge während einer Kamerafahrt/eines Perspektivenwechsels und natürlich alle anderen Geräusche die aufgrund Bewegung oder Perspektivenwechsel ihre Position in der Szene verändern.

Die Möglichkeiten der Gestaltung des Ton- und Klangumfelds nehmen so im 360°Film markant zu. Da sich beim 360°Ton die Position der Hörer*in in der Mitte einer Sphäre befindet, in der sich auf jedem Punkt im Koordinatennetz Tonobjekte platzieren lassen, können im 360°Filmton alle 3 Dimensionen unseres Gehörsinns angesprochen werden. Die Verortung des Tons wird somit um eine Dimension erweitert. 

Folgende Achsen stehen für die Objektplatzierung zur Verfügung (siehe Abbildung unten):

  • X-Achse: vorne, hinten

  • Y-Achse: links, rechts

  • Z-Achse: oben, unten

Abb.: Objektplatzierung  auf den drei Achsen X-Achse: vorne, hinten / Y-Achse: links, rechts / Z-Achse: oben, unten

Abb.: Objektplatzierung auf den drei Achsen X-Achse: vorne, hinten / Y-Achse: links, rechts / Z-Achse: oben, unten