TON - KEIN RAUSCHEN, SONDERN KLINGEN

Die richtigen Mikrofone am besten Ort platzieren.

 
 

Unsichtbare Mikrofonierung («Invisible Micing»)

Aufgrund des 360°Kamerablickfeldes, das den ganzen Raum am Set umfasst, müssen die Mikrophone am Set möglichst versteckt, also hinter Objekten oder Abdeckungen platziert werden. Dies kann zu grossen Einschränkungen der Gestaltungsmöglichkeiten und der Qualität der Aufnahme führen, insbesondere dann, wenn der Abstand zwischen der Schallquelle und dem Mikrophon sehr gross oder sehr klein ist.

Eingesetzt werden Ambisonic Mikrophone, die – beim Dreh meistens unter der Kamera stehend – den ganzen Raum abdecken. Unterstützt werden diese durch einzelne Monomikrophone, die ganz spezifische Klangquellen erfassen und Funkmikrofone, die insbesondere für das Erfassen der Dialoge eingesetzt werden.

Ambi-Recording
Zur Aufnahme des 360°Klangraumes vor Ort hat sich für die Wiedergabe über Kopfhörer das ‘1. Order Ambisonic’ Format durchgesetzt. In diesem Verfahren werden vier unterschiedliche Kapseln verwendet, die das Signal aus unterschiedlichen Richtungen aufnehmen. Mit einer speziellen Matrizierung werden daraus vier Kanäle zur Verfügung gestellt. Drei Kanäle entsprechen den 3D Achsen X, Y und Z, ein Kanal entspricht der Summe aller Richtungen, also Quasi einem Mono-Kugelmikrofon. Wichtig ist dabei, das Mikrofon auf die Null-Achse der Kamera auszurichten. Damit fällt es in der Postproduktion leichter, Bild und Ton ohne Ausrichtungsversatz synchron zu verarbeiten. Um sicher zu gehen, empfiehlt es sich zudem, vor der ‘heissen’ Aufnahme die Ausrichtung zu kalibrieren. Dies ist möglich, indem man bei laufendem Recording in allen Richtungen ein Steuersignal aufnimmt. Die Gelegenheit zur Nachsynchronisierung/Kompensation eines allfälligen Zeitversatzes kann über Klappe oder Timecode erreicht werden.

Bei der Mikrofonwahl ist entscheidend, welche Qualitätsansprüche erfüllt werden sollen. Wie erwähnt, kann die spätere Wiedergabe über Kopfhörer gnadenlos bezüglich Rauschen, Trittschallgeräuschen, Windgeräuschen oder mangelhafter Lokalisierung sein.

 Dialogaufnahmen
Grundsätzlich kommen Tonangeln im 360°Film lediglich für ‘Nur-Ton’- Aufnahmen in Frage. Je nach Szenario können Shot-Gun Mikrofone versteckt eingesetzt werden. Die Dialogproduktion am 360°Filmset bedarf somit einiger konzeptioneller Überlegungen. Sofern die 360°Ambi losgelöst von den Dialogszenen produziert werden kann (Nur-Ton), ist die Handhabung wie im konventionellen Film: Ambi über Mehrkanalmikrophon alleine, Dialoge mit versteckten Lavaliermics.
Allerdings ist es aufgrund des 360°Bildes je nach Location schwierig, den ‘Nur-Ton”’ mit dem Bild zu verbinden. Bei möglichen 360° Geräuschquellen ist es, insbesondere in Outdoor-Settings schnell möglich, dass Verkehr, Wassergeräusche, Tiere etc. unberechenbar– aber nicht störend fürs Bild - während eines Dialogs zu hören sind. 
Eine gute Möglichkeit ist, das Ambi-Recording mit dem Dialogrecording zu verbinden. Man lässt also alles parallel laufen. Alle Geräuschquellen, die gefilmt werden, sind durch das Ambirecording auch in der Tonspur am richtigen Ort und in der richtigen Distanz bzw. in der korrekten Bewegung aufgezeichnet.
Die Herausforderung :

  • Die Dialoge sind auf dem Ambisonic-Micro

  • Die Dialoge sind aber auch auf den Lavaliermic-Kanälen

  • Bewegen sich die Akteure von der Kamera weg, verändert sich die Distanz der Stimme zum Ambisonic Mic, nicht aber ihre Distanz zu den Lavaliermics

 Durch eine geschickte Kompensation von Phasenlage (Distanz, bzw. Latenzausgleich) der beiden Quellen sowie dem Nachfahren der Bewegungen im 360°Umfeld lässt sich dies in der Postproduktion anpassen, ohne dass man die Signale doppelt hört. Manchmal ist das Lavaliersignal lediglich zur Verbesserung der Verständlichkeit nötig, kann also situativ dazu gemischt werden. Es braucht dazu ein geübtes Ohr um Phasenverschiebungen erkennen und korrigieren zu können.

 Foleys/Sound -FX/O-Ton
Solange Audioobjekte stationär sind (z.B. tickt eine Wanduhr immer am selben Ort in der Wohnung) können diese direkt mit dem Ambisonic Mic oder separat als ‘Nur-Ton’ aufgenommen werden. Der Vorteil mit dem Ambisonic Mic liegt darin, dass bei richtiger Ausrichtung die Richtung immer stimmt und die physikalischen Eigenschaften des Raumes exakt erfasst werden (Distanzen, Oberflächenbeschaffenheit, Nachhallzeit etc.). Dies spart enorm viel Zeit und Arbeit in der Post-Produktion. Im beschriebenen Fall macht es weiter Sinn, vor dem Dreh die Geräusche als einen gemeinsamen Raumton aufzunehmen, und dann alles, was während der Szene geschieht, mit unsichtbarer Mikrofonierung, also ähnlich wie im Theater (Lavaliers, Grenzflächenmics, versteckte Shotguns), aufzunehmen.
Wird allerdings ein Ereignis die akustische Raumwahrnehmung drastisch verändern (Fenster geht plötzlich auf, Leute strömen in den Raum etc.) tut man gut daran, dies direkt als Ambisonic Recording umzusetzen und die Dialoge in der Post zu richten.
Wie im konventionellen Film kann natürlich jederzeit ‘Nur-Ton’ direkt am Set produziert werden. Es gelten die gleichen (oftmals schwierigen) Bedingungen, genügend Zeit, Ruhe am Set und im Optimalfall die Videosequenz zum bildsynchronen Nachbau vor Ort zur Verfügung zu haben.

Aus der Praxis

Ein Drohnenflug über die Luzerner Fasnacht: 10.000 Leute, Guugenmusik erklingt. Die Schläge auf die Pauke sind zu sehen, die Konfettibombe, die jubelnde Menge.
Wie kann hier Synchronität erreicht werden?

 Probleme für den Ton:

  •  Drohnen verursachen laute Geräusche. 

  • Die Nachvertonung ist bei der Anforderung ‘Bild-Synchronität’ nicht möglich, Tempo, Klang und Position der Audioobjekte ändern sich und sind so nicht wiederholbar.

  • Mehrfach-Booming von oben nicht möglich da das Drohnengeräusch einstreut und die Boomstangen sichtbar wären.

 Lösung:

  • Kompromiss: Unsichtbare Mehrfachmikrofonierung direkt in der Szenerie. Die Herstellung der Illusion, dass alles von Oben kommt, muss in einer sehr aufwändigen Postproduktion realisiert werden und erreicht nicht zu 100% die Klangverhätnisse der realen Situation vor Ort.

360° SRF
In den SRF Produktionen Inspector Crazy, Puls und Nachtspiel wurde folgendes Tonequipment eingesetzt: