Vom Ende der ›Suture‹

Zeit- und Raumformen im 360°Film

von Matthias Wittmann

 
 

 Billy, don’t you turn your back on me.

Bob Dylan, »Pat Garrett & Billy the Kid« (1973)

Dreh-Arbeiten
Wer einmal via HMD (Head-Mounted Display) eine virtuelle 360°-Filmbubble besucht hat, wird die Erfahrung gemacht haben, dass der Begriff ›Filmdreh‹ (tournage) eine neue, buchstäbliche Dimension erhält: Dort, wo einst die Kamera drehte, dreht sich nun ›the spectator mit VR-Headset und Kontroller in der Hand auf dem Bürosessel. Etwas digitaler, aber nicht weniger buchstäblich reformuliert: lat. digitus, das heiβt ›Finger‹. Was sonst ein Finger auf diversen Touchscreens veranstaltet, darf nun mit dem ganzen Körper vollzogen werden: Wisch-, Zieh- und Scrollbewegungen. Freilich können diese Manövrier- und Navigationsmöglichkeiten immer noch in kameratechnische Begrifflichkeiten gefasst werden: Schwenken, Neigen, Rollen. Drei Achsen, um die herum sich die semantisch-somatische Arbeit der Zuschauerin – im 360°-Jargon auch gerne ›visitor (Besucherin) genannt – dreht. Die Energie des Bewegtbildes übersetzt sich in Bewegungsenergie, die optischen Situationen auf dem screen display werden zu senso-motorischen Situationen auf Seiten der Besucherin. Hat der französische Filmologe Etienne Souriau [2] in »Die Struktur des filmischen Universums und das Vokabular der Filmologie« noch festgestellt, dass der »diegetische Raum […]  nur im Denken des Zuschauers rekonstruiert wird«, erhält diese Rekonstruktionsarbeit in den diegetischen Räumen der 360°-Filme eine zusätzliche Dimension: Die körperliche Dreh-Arbeit der Zuschauerin ist conditio sine qua non der Konstruktion des diegetischen Raums geworden. Film-Traum-Analogien, wie sie noch von Christian Metz in Der imaginäre Signifikant. Psychoanalyse und Kino (1977) hergestellt wurden, können für die 360°-Filmerfahrung kaum mehr Gültigkeit beanspruchen. Anders als die Träumende und die ins klassische Filmdispositiv eingebettete Zuschauerin befindet sich die VR-Headset-Userin nicht mehr in ruhender Lage, sondern in Bewegung. [3]

Bedeutete das Dispositiv des Riesenrundgemäldes im 18./19. Jahrhundert ein neues Verhältnis von Begehren und Begehen, weil das Publikum sich bewegte, während das Bild still stand, und das klassische Kinodispositiv eine »Industrialisierung der Stasis des Publikums in der Bewegung des Bildes«, so haben wir es in den 360°-Rundumwelten mit einer Kombination von »moving bodies« und »moving images« zu tun.[4] Der Rundumbau des Riesenrundgemäldes hat sich in das VR-Headset zurückgezogen. Im Unterschied zu interaktiven VR-Sequenzen – im Medienverbund mit Datenhandschuh, ›Haptic Feedback Chair‹, ›Motion Tracking‹, ›Game Engines‹, ›VR-Treadmill‹ u.v.m. – bleibt der (Re-) Aktivismus der Userin in den 360°-Filmräumen allerdings auf Drehbewegungen aus dem Stand oder dem Sitzen und auf die Wahl der Blickwinkel beschränkt. Aufstehen, in die Knie gehen oder Herumgehen zeitig keinerlei Konsequenzen. Zoom-Ins, Achsensprünge und andere Standpunktwechsel kann die Userin – trotz der neuen Navigationsmöglichkeiten – immer noch nur dann vollziehen, wenn dies vom Film bzw. im Film für sie vor-gesehen ist. Anders als eine Begeherin des Riesenrundgemäldes hat eine Besucherin der VR-Bubble keine Operngläser zur Verfügung, um Details heranzuholen.

Da es sich somit nicht um ein Verhältnis der Interaktion handelt, sondern um Entdeckungen, welche die VR-Besucherin entlang zeitlich vorgegebener Pfade machen kann, möchte ich von einer partiell engagierten Zuschauerin sprechen. Auch wenn die Narrative des 360°-Content alles unternehmen, um der Zuschauerin eine Rolle in der Diegese zuzuschreiben, bleibt sie letztendlich eine nicht-teilnehmende Beobachterin mit verschiedenen senso-motorischen Aktivierungs- und Involvierungsgraden. Es wird auf diese anwesende Abwesenheit und abwesende Anwesenheit in der Mitte des Bildraums noch zurückzukommen sein.

Montage ohne Schnitt
Bemerkenswert ist zunächst, dass den Kopfbewegungen der VR-Besucherin eine Montagearbeit zufällt, die im klassischen Kinodispositiv die Découpage – als Zer- und Auslegung des Raums in einer vorgegebenen Dauer – erledigte. Somit verhilft der 360°-Film nicht nur der Mise-en-Scène, sondern auch der plansequentiellen Découpage zu einem Re-Entry in die filmischen Bildräume. Guido Kirsten hat aufgezeigt, dass die Begriffe découpage und découpage technique nicht nur auf die Montage zwischen Einstellungen bezogen werden können (im Französischen: découpage-montage; découpage analytique), sondern ebenso auf Formen der Strukturierung, Fragmentierung und Auslegung des Raums innerhalb einer Einstellung: etwa durch eine Kamerafahrt, die den Raum in eine Sukzession von Fragmenten in der Zeit verwandelt. Auch Orson Welles‘ Verfahren, eine »Ereignissequenz in nur einer Einstellung zu zeigen«, etwa durch Narrativierung der Bildtiefe, wird von André Bazin zum Verfahren der »découpage« – der »découpage en profondeur« (»Découpage in der Bildtiefe«) – gerechnet, wie Kirsten in seinem Aufsatz zur Mise-en-Scène hervorhebt.[5]

Die von Bazin favorisierten unteilbaren Raum-Zeit-Blöcke, die der Realität mit den Mitteln der Plansequenz und der Schärfentiefe wie ein »Ziegelstein« entnommen werden,[6] finden in den Mise-en-Scène- und Découpage-orientierten Raumformen der 360°-Filme eine Radikalisierung. Mit Béla Balázs kann von einer »Montage ohne Schnitt« gesprochen werden, welche die Panoramabildräume dominiert. In dem bemerkenswerten Subkapitel »Die Kamera panoramiert« aus Der Geist des Films (1930) bemerkt Balázs hierzu Folgendes:

»Auch das ist Montage ohne Schnitt. Die Kamera wendet sich oder wandert und läβt die Bilder der gestreiften Objekte an uns vorbeiziehen. Diese Montage wird nicht erst auf dem Zelluloidband gemacht. Sie wird schon als Montage aufgenommen. […] Die panoramierende Kamera […] läβt uns aus dem Raum gar nicht heraus. Der Raum bleibt immerfort im Bild und wird nur abgesucht, abgetastet nach seinen Objekten.«[7]

Die panoramierende Kamera läβt uns aus dem Raum gar nicht heraus, schreibt Balázs. Ein Satz, der genauso gut auf die virtuellen Umgebungsräumlichkeiten der 360°-Filme bezogen sein könnte, die sich mittels Montage ohne Schnitt zusammensetzen. 

Wenn André Bazin in der Inszenierung in die Bildtiefe (découpage en profondeur) eine Möglichkeit sieht, das Kinopublikum in ein besonders inniges, aktives Verhältnis zum Bildraum zu versetzen,[8] und Roland Barthes fast zeitgleich in einem kleinen Text über Cinemascope hervorhebt,[9] dass dieses Format eine neue Flanerie im filmischen Raum, gleichsam zwischen den Details, ermögliche, dann ist genau diese Flanerie in den 360°-Bildräumen nur mit vielen Einschränkungen gegeben: Nicht nur, dass die mangelhafte Auflösung insbesondere des Oculus-Bildes (1080 x 1200 pro Auge) die Liebe zum Detail und das, was Barthes »Wirklichkeitseffekt«[10] nennt, geradezu verunmöglicht. Auch das Komfortzonen-Management der 360°-Bildräume lässt nichts unversucht, um die Userin durch Ökonomisierung des Sichtbaren und Setzung von Points of Interests – wie in einer Skinner-Box – daran zu hindern, sich nach Belieben im Rundumraum umzusehen. 360°-Filmräume sind in erster Linie übertrieben kontrollierte und kontrollierende Räume, die der Userin wenig Raum bieten, eigene Rhythmen und Strukturen der Erfahrung – und das heiβt auch: eigene Narrative – auszubilden.

»Narrative radically reduces the quantity and complexity of visual and aural signals, and ›matching‹ the (›raw‹) data with the (already culturally coded) story material meant imposing hierarchies as well as producing a ›surplus‹ (of possible meaning) and repressing it […].«[11]

Die Fiktionen, welche die Headset-Userinnen in diesen «worlds of potential frames»[12] geboten bekommen, verlaufen dann doch gerahmter und gebahnter, als die Rundumsicht in Aussicht stellen würde: Es gibt wenige, klar exponierte Handlungs-Ereignisse und viel toten Raum dazwischen. Überschüssige, nebensächliche Details, die zum ›Wirklichkeitseffekt‹ beitragen könnten, spielen tendenziell keine Rolle. Man trainiert die Zuschauerin, (a) nichts versäumen zu wollen und (b) nichts versäumen zu können. Damit nichts versäumt wird, nichts off the mark [13] stattfindet, reduziert man die diegetischen Ereignisse auf ein bestimmtes Mass des Überschaubaren bzw. gerade noch Zumutbaren. Jessica Brillhart erläutert in ihrem Text ›In the blink of a Mind‹ ihre Technik, nicht nur points of interest (POI) zu setzen, sondern auch mit matches on attention zu arbeiten: »[…] if I can make a solid bet on a POI — something along the lines of a red dot or a solitary climber — I might be inclined to do a match on attention. This would involve identifying where a visitor’s attention lands and then cutting from that to something else I’d like for the visitor to pay attention to.«[14] Es wird viel Rücksicht auf behaviouristische Betrachtervermessung [15] genommen und der Userin wenig Freiraum gegeben.

Letztendlich führen die genau abgezirkelten VR-Sphären mit ihren wohlgesetzten, zum Teil sehr aufdringlichen POI (points of interest) und POV (points of view) das Potential des 360°-Dispositivs, mit Umgebungsräumlichkeiten und experimenteller Mise-en-Scène zu arbeiten, ad absurdum. Was in der VR-Pornoindustrie längst üblich ist und dort auch nahe liegt,[16] hält nun Einzug auch in den Mainstream der nicht-pornographischen 360°-Bildräume: Man kehrt zur 180°-Fisheye-Perspektive zurück, da man festgestellt hat, dass die Besucher allzu schnell das Interesse an der permanenten Rundumschau verlieren bzw. den ›Dreh‹ als mühsam, lästig oder uninteressant empfinden. Das mag an Bequemlichkeit liegen, das mag aber auch darin liegen, dass die Ökonomien des Sichtbaren den Besucherinnen die Lust am Verlorengehen im Raum und an der Flaniere zwischen den Details gehörig austreiben. Wir haben es mit einem Format zu tun, das sich gegenwärtig stark hinter seine Möglichkeiten zurückzuziehen scheint und von Netflix als Content übrigens vorläufig noch nicht produziert wird.

Es ist vor allem ein Widerspruch zwischen ›game logic‹ und ›narrative logic‹, der am Körper der Userin ausgetragen wird. Hin und hergerissen zwischen Aktivität und Passivität, zerstreuter Wahrnehmung und fokussierter Immersion, nicht-teilnehmenden Beobachterperspektiven und aufgezwungenen Point-of-Views, körperlicher Partizipation und vorgegebenen Pfaden, zwischen kurzen Momenten des ›decision makings‹ (siehe z.B. Decisions: Party’s Over) [17], leicht interaktiven ›Game Engine‹-Momenten – ein Schatten, der auf die eigenen Bewegungen reagiert (Easter Rising: Voice of a Rebel);[18] ein Raum, der sich in Reaktion auf die Bewegungen des Users transformiert (In the Eyes of the Animal) [19] – sowie Drohnenflügen, theme park tours und phantom rides, scheint der Zuschauerinnenkörper erstmal Schwierigkeiten zu haben, herauszufinden, woran er an den und in den 360°-Filmen eigentlich ist.

Schnittfrequenz
Ich möchte den Einstieg in eine 360°-Filmbubble mit einer fundamentalen ontologischen Verunsicherung vergleichen: »Wer bin ich? Wo bin ich?«. Fragen, die man sich im Kino wohl kaum oder nur gelegentlich stellte, rücken plötzlich buchstäblich ins Zentrum. «Bin ich Beobachterin, nicht-teilnehmende Augenzeugin? Oder bin ich von der Handlung mitgemeint, Teil der Diegese?» Als visitor bin ich weder spectator noch participant; eher ein Gespenst, d.h. eine anwesende Abwesenheit oder abwesende Anwesenheit, vergleichbar jenem Status, den die Protagonisten von Ingmar Bergmans Smultronstället (Wilde Erdbeeren, 1957) oder David Cronenbergs Spider (2002) in den Erinnerungsszenen besetzen. Beide Filme lassen ihre Protagonisten die Räume ihrer Erinnerung wie Gespenster betreten, die zwar alles sehen können, aber für die erinnerten Personen nicht sichtbar sind. Wie Cronenbergs und Bergmans Wandler zwischen den Zeiten und Räumen, befindet sich auch die Besucherin einer 360°-Filmsphäre in einer Zwischenzeit und einem Zwischenraum: Sie kommt nie wirklich in der Gegenwart der Diegese an, auch wenn die Plots alles tun, um die Bildmitte zu subjektivieren und der Besucherin verschiedenste Rollen zuzuschreiben, die dann doch meistens männlich gegendert sind.

Ein beliebtes Mind-Game vieler 360°-Thriller oder Horrorclips ist es, die Besucherin erstmal auf eine nicht-teilnehmende Beobachterrolle einzustellen, um sie plötzlich – im Zuge eines plot twists – mit einer First-Person-Narration zu involvieren. Hugo Keijzers The Invisible Man (2016)[20] etwa versetzt den VR-Visitor in die Rolle eines unsichtbaren Voyeurs, der an einem Tisch mit Drogendealern sitzt, die russisches Roulette spielen. Und während sich dieses invisibilisierte Ich in der Bildmitte in voyeuristischer Sicherheit wiegt, wird es plötzlich adressiert, zunächst verbal, dann mit einem Revolver, und schliesslich erschossen. Die Sch(l)üsse von The Great Train Robbery (1903, Edwin S. Porter), Good Fellas (1990, Martin Scorsese) und Spellbound (1945, Alfred Hitchcock) lassen grüssen. 

Wo bin ich? Welche Rolle habe ich? Habe ich überhaupt eine Rolle? Das sind also jene zentralen Fragen, um welche die 360°-Narrative gebaut scheinen. In dieser Hinsicht war Christopher Nolans Memento (2000) ein 360°-Film avant la lettre, der seinen Protagonisten Leonard – mit Notizen, Polaroids und Tätowierungen auf den eigenen Körper – gegen den permanenten Sinn-Entzug ankämpfen lässt, der ihm von seinem Trauma-bedingten short term memory loss aufgezwungen wird. Wie Leonard in Memento erwacht auch die 360°-Filmbesucherin alle paar Minuten in einer Welt, in der sie sich neu orientieren muss.[21] Gerade weil ein Schnitt im 360°-Film als deutlich gewaltförmiger erlebt wird und der Zuschauerin mehr Re-Orientierungsarbeit abverlangt als im klassischen Narrationskino, ist das Komfortzonenmanagement der 360°-Bildräume bemüht, die Schnittfrequenzen so gering wie möglich zu halten. Schon in den 50er Jahren führten Formate wie Cinemascope zu einer Reduktion der Schnittfrequenz und zu einer verstärkten Narrativierung der Breite und Tiefe des Bildes.[22] Hinzu kommt, dass es vor allem die Kombination aus den Formaten 3D und 360° ist, die den Schnitt als ganz besonders gewaltförmigen Eingriff in die Umgebungsräumlichkeit des Users erscheinen lässt:

 »Ist aber das Bild stark räumlich, so wird der Montageschnitt ein blutiger, gewaltsamer Eingriff in reale Räume. […] Die spielerische Leichtigkeit des Hintereinanderabblätterns von Hunderten von Bildern ist dahin – das Bild hat Blut getrunken, hat die Trägheit der Materie erhalten  […]. Der Schnitt wirkt plötzlich als ein brutales Abbrechen, ja Zerbrechen, beziehungsweise als ein unmögliches Hintereinander disparatester Standpunkte im Raum«, [23]

schreibt Rudolf Arnheim schon 1932 in Film als Kunst. Auch wenn er hierbei nicht 360°, sondern den stereoskopischen, »plastischen« 3D-Film vor Augen hat, lässt sich das, was er über die Gewaltförmigkeit des Schnitts schreibt, geradewegs auf die Wirkung des Schnitts im 360°-Film beziehen, zumal Stereoskopie in den head-mounted displays eine Rahmenbedingung der Wahrnehmung bleibt.

Es war Buster Keaton, der schon in den 20er Jahren die Gewalt, die vom Schnitt ausgehen kann – vor allem dann, wenn er als Störung der Immersion erlebt wird – in seinem Film Sherlock jr. (1924) thematisiert hat: Dort verkörpert er einen Filmvorführer, der während einer Projektion einschläft und im Traum in den projizierten Film eintritt. Dies bedeutet nicht nur totale Immersion, sondern auch Gefangennahme durch die Eigengesetzlichkeit des Filmischen, das heisst vor allem: durch Schnittrhythmen, die ihn in einen physischen Taumel des Schauplatzwechsels versetzen. Es ist eine frühe Form von (inter-)aktiver, ›inkorporierter‹ Zuschauerinnenschaft,[24] die hier verhandelt wird.  Mit dem Unterschied jedoch, dass der von Keaton verkörperte Filmvorführer das ›Zapping‹ zwischen den Bildräumen als irritierende Gewalt von Oben erfährt, während interactive spectatorship in den virtuellen Welten oftmals mit der Illusion einhergeht, den ›Kontroller‹ selbst in der Hand zu halten, so wie Detective John Anderton am gesture-based user interface in Steven Spielbergs Minority Report (2002) den ›Content‹ selbst dirigiert, damit jongliert.

Den Gegen-Schuss im Rücken
Ich möchte die Erfahrung einer ontologischen Verunsicherung, die von panoramatischen VR-Bildräumen ausgehen kann – Wer bin ich? Wo bin ich? Welche Rolle habe ich? –, nicht nur auf konkrete Narrative zurückführen, sondern auf die Subjektposition, die der VR-Besucherin vom Dispositiv per se zugewiesen wird. Folgt man Michel Foucault, dann ist das Subjekt immer auch ein Effekt von Unterwerfung (franz. assujettissement; lat. subiectio).[25] Das Subjekt der panoramatischen 360°-World View ist sub-iectum: Unterworfenes einer Sphäre aus Blickachsen und Sehprojektionen, die kaum mehr mit dem klassischen Kinodispositiv verglichen werden können. Da jeder Schnitt im 360°Film für die Besucherin einen Zusammenbruch der gesamten virtuellen Umgebungsräumlichkeit bedeutet, gefolgt von der Notwendigkeit einer Re-Orientierung in der neuen Szeneneinstellung, fallen der Userin plötzlich jene ›Operationen‹ zu, die im klassischen narrativen Kino der Automatismus der Montage – in Ko-Operation mit der imaginären Suture – verrichtete. Vor allem das klassische Schuss-Gegenschuss-Verfahren obliegt plötzlich der Userin, die den Gegenschuss – als potentielle Perspektive – quasi immer im Rücken hat. Was im Schuss-Gegenschuss-System noch ein vorgegebener Rhythmus in der filmischen Zeit war, umschliesst die Besucherin nunmehr als Parallelmontage im Raum: als virtueller, potentiell explorierbarer Umraum.[26]

Billy, don’t you turn your back on me, singt Bob Dylan in Sam Peckinpahs Pat Garret and Billy the Kid (1973). Anders als eine herkömmliche Kinogeherin kann die Besucherin einer VR-360°-Szeneneinstellung dem Bild den Rücken zukehren und trotzdem im Bild bleiben. Sie muss den Rahmen, der Bild und Nicht-Bild trennt, nicht verlassen. Körper- und Kopfbewegungen werden zu dem, was Bazin als Kasch, als bewegliche Maske [27] bezeichnete, mit der alternierende Dynamisierungen des Verhältnisses zwischen Fort/Da, On/Off, champ/hors-champ vorgenommen werden können.[28]

Was sich in den 3D/360°-Filmdiegesen dadurch definitiv erübrigt hat, so meine zentrale These, ist das, was in der Filmtheorie – v.a. psychoanalytischer Prägung – Suture hiess und sich auf die »Codierung des klassischen Erzählkinos« bezog, die penibel darauf versessen war, die Zuschauerin an den »Ort des wahrnehmenden Bewusstseins« zu versetzen: »er denke sich gleichsam an die Stelle des je absenten Kameraauges, schlieβe die Lücke und füge Einstellung für Einstellung das fragmentierte Bild zu einem homogenen Raum zusammen; seine eigene Wahrnehmungsaktivität bildet die Nahtstelle, an der sich die fragmentierten Bilder zusammenfügen – daher der Begriff Suture«.[29]  

Das von Jean-Pierre Oudart 1977 bei Jacques Lacan (bzw. Jacques Alain Miller) entlehnte und in die Filmtheorie eingeführte Konzept der Suture bezieht sich auf den – für die Filmrezeption grundlegenden – Rhythmus zwischen off-screen/on-screen, auf die Frage der Diegetisierung (respektive Verschleierung) der Kinoapparatur mittels konventioneller Montageprozeduren (Schuss/Gegenschuss; Point-of-View; Eyeline-Match) und auf jenen konstitutionellen Mangel, der die Filmbilder wie ein Echo begleitet und den Oudart als »Absent one« bezeichnet:  »Every filmic field is echoed by an absent field, the place of a character who is put there by the viewer’s imaginary, and which we shall call the Absent One.«[30] Im Schuss/Gegenschuss-System des klassischen Hollywoodkinos werden die offenen Wunden, »die der Abwesende im filmischen Raum gerissen hat«[31], so vernäht, dass die Nähte und Wunden möglichst unsichtbar bleiben. Indem die Kamera den abwesenden Blickpunkt des Schusses im Gegenschuss einholt, verwandelt sie den Abwesenden in eine diegetisch anwesende Figur. Umgekehrt kann die Montagetechnik zunächst eine Figur zeigen, die etwas sieht, damit wir uns im folgenden Gegenschuss diesem nunmehr abwesenden Blickpunkt anschliessen können und das sehen, was die Figur sieht. »Diese permanente Verkörperung des Abwesenden schafft die Basis für den sogenannten unsichtbaren Schnitt des klassischen Hollywoodkinos als Kino der Kontinuität und Kausalität.«[32] Was den Raumteilen und Einstellungen also Kohärenz gibt, ist eine Montagetechnik, die den Blick des Subjektes als Ort der Stiftung von Einheit und als Instanz der Kontrolle über den Raum etabliert; wobei mit »Subjekt« hier vor allem das Zuschauersubjekt als Effekt der symbolischen Struktur des Films gemeint ist.

Entscheidend ist, dass der Automatismus der filmischen Montage die Orientierung im Handlungsraum und die Besetzbarkeit des hors-champ durch die Imaginations- und Vernähungsleistung des Publikums garantierte. Das Abwesende schlechthin war die Kamera selbst, die einen fluktuierenden »Hohlraum«[33] hinterlieβ, der von der Imagination der Zuschauerin – im Rhythmus von Schuss und Gegenschuss – ständig neu besetzt werden konnte. Genau dieser Hohlraum hat sich in der Mitte des 360°-Bildraums erheblich vergrössert, wobei sich der körperliche und imaginäre Einsatz der Zuschauerin entscheidend gewandelt hat. Gleichsam eingekapselt in der Mitte der Bildsphäre, umstellt von Sehprojektionen und vor-gesehenen Blickrichtungen – hierin dem Gegen-Schuss zur bullet time vergleichbar –, soll die VR-Besucherin nun jene Dreh-Arbeit verrichten, die vormals Kamera und Montage übernommen haben.

Obwohl wir uns also ›inmitten des Geschehens‹ fühlen sollen, kommen wir in der Gegenwart des Geschehens dann doch nicht wirklich an, so meine zweite zentrale These. Auch wenn das VR-360°-Dispositiv als Empathiemaschine mit ganz besonderen Präsenzeffekten beworben wird, funktioniert ›Präsenz‹ inmitten der 360°-Bubble allenfalls unidirektional, aber nicht bidirektional. Das bedeutet, dass das VR-Geschehen mit seinen Objekten, Körpern, Handlungen von der Zuschauerin zwar als ganz besonders gegenwärtig erlebt werden kann, dass sie aber umgekehrt nie wirklich oder nur mit grosser Anstrengung den Eindruck haben wird, in der Gegenwart des innerdiegetischen Geschehens und der Filmfiguren anzukommen. Zwischen Bildmitte und Rundumgeschehen ist letztendlich keine Ko-Präsenz herstellbar. Eingekapselt wie ein Schmetterling in der Taucherglocke, getrennt vom Geschehen wie Jimmy Stewart als Jeff in Rear Window (1954), verbannt in eine Twilightzone zwischen Ab- und Anwesenheit, ausser- und innerdiegetischer Position wird die Userin zu einem Gespenst, das alles sieht, aber nicht gesehen werden kann.

Das absolute Off
Wenn jede Kadrierung ein Off determiniert, [34] wie das Gilles Deleuze formuliert, stellt sich die Frage, wohin jene nicht-repräsentierbare Region verschwunden ist, die Deleuze als Off mit absolutem Aspekt bezeichnet, als un-repräsentierbares, uneinholbares Off?[35] Ich möchte argumentieren, dass sich das ›absolute Off› an jenen Ort zurückgezogen hat, den die VR-Besucherin bewohnt: Im Zentrum der gleichermassen zentripetal wie zentrifugal dynamisierten, tendenziell auf die Mitte hin organisierten 360°-Sphäre befindet sich eine zentrale Region, in der sich hors-champ (das innerdiegetische Off) und hors-cadre (das ausserdiegetische Off) zu vereinen scheinen. Das Bild selbst schliesst sich wie ein Rahmen um eine radikale »Aussenseite des Films«[36], eine »unverfügbare Blickursache als blinde Zone des Visuellen«,[37] den die Kamera hinterlassen hat und den nun der Rezipientenkörper als letztendlich radikal exkludierte Subjektivität besetzt; exkludiert nicht zuletzt auch deshalb, da im 360°-Film die eigenen Handlungen keinerlei Konsequenzen im Handlungsraum zeitigen. Die VR-Besucherin ist das ›inkludierte Exkludierte‹ schlechthin. Die Leere inmitten des Bildraums, die ›Ich‹ zu füllen habe oder ein ›Ich‹ zu füllen hat, ist leiblich und imaginär nicht wirklich ausfüllbar, nicht zuletzt deshalb, da es einen letztendlich unmöglichen Gegen-Schuss gibt: jenen Gegen-Schuss, der die Bildmitte zeigen und der Zuschauerin ein Gesicht und einen Ausdruck verleihen könnte. Das Ende der Suture in den Raum- und Zeitkonstruktionen der 360°-Filme hat eine fundamentale Veränderung der Identifikationsstrukturen zur Folge. Während Film im herkömmlichen Sinne jenes Medium war, das Geschichten als fortlaufendes Gewebe aus wechselnden Betrachterinnen-Positionen, Detailaufnahmen und Totalen erzählte, gibt es dieses Geflecht aus alternieren Perspektiven im 360°-Film nicht mehr. Der 360°-Film ist zwar auch, wie der herkömmliche Film, Sukzession in der Zeit, er ist aber auch und vor allem Koexistenz von Parallelhandlungen im Raum. Das bedeutet auch, dass sich ›Subjektivität‹ in den Handlungsräumen ganz anders zusammensetzt, überträgt, oder auch viel schwieriger herstellen lässt als mit den Mitteln (mehr oder weniger) klassischer Montagetechniken. Gerade weil das Zentrum des Bildes genau genommen eine radikal nicht-anthropomorphe Zone ist, ein ent-subjektivierter Ort eines rein maschinellen, registrierenden Blicks, wird alles getan, um diesen Ort mittels POV-Strukturen zu subjektivieren und zu ›beleben‹. Man ist in erster Linie erstaunt über die Naivität der Icherzählungen, die dabei zum Einsatz kommen, nämlich Techniken der subjektiven Markierung, die schon in der Filmgeschichte aus metapsychologischer Perspektive wenig überzeugt haben: Blicke in die Kamera und durchgehende Subjektiven. Über The Lady in the Lake (1943), das grandios gescheiterte Hollywood-Experiment in Sachen »fast durchgängiger Verwendung der subjektiven Kamera«, schreibt Christine N. Brinckmann Folgendes:

»Dass sich der Eindruck von Subjektivität trotz konsequenter Ausführung des gewählten Kamerakonzepts nicht einstellen will, ist nun die eigentliche Crux des Films. Mit Ausnahme gewisser erotischer Neigungen verrät das Bild nichts über die Persönlichkeit, deren Sicht es darstellt, drückt keine selektive Wahrnehmung oder persönlichkeitsbedingte Verzerrung aus. Man hat auch nicht den Eindruck, den wirklichen Augenbewegungen eines Menschen zu folgen. Denn stets bleibt die Kamera ans Stativ gefesselt, vollführt nur technisch gesteuerte Schwenks oder Fahrten und folgt auch in der Schärfe der Einstellungen dem Prinzip höchster Präzision. Die Folge ist eine kühle Sterilität der Bilder, die in nichts an die natürliche Seherfahrung erinnert. […] Üblicherweise wird ja sehr oft geschnitten, und mit jedem Schnitt verändert sich entweder der Blickpunkt oder die Distanz zum Objekt oder beides. […] Was dabei entsteht, ist ein Netz solcher Beziehungen und mit ihnen eine stetige Basis für die Zuschauer, sich in die Personen einzufühlen. Diese Basis wird nun in The Lady in the Lake nicht mehr geboten […].»[38]

Genau dieses Netz von Beziehungen, diese Realität von Relationen, aus denen sich im Film Subjekteffekte ergeben, müssten in den 360°-Räumen mit ganz anderen, die Wahrnehmung rhythmisierenden Mitteln hergestellt werden. Doch das Gros der Narrative setzt auf konventionelle Subjektiven und einen Präsentismus der ich-hier-jetzt-Behauptung, der die Zuschauerin darüber hinwegzutäuschen soll, ein registrierender, raumvermessender, an einen Standpunkt gefesselter Kopf zu sein, der auf einem Tripod steckt. Psychedelische Narrative, welche die Besucherin – im Stil von Gaspar Noés Enter the Void (2009) – eine frei flottierende, entkörperlichte PoV bewohnen lassen oder cybermelancholische Erzählungen über Zerrissenheiten zwischen Menschen- und Maschinenperspektiven vermögen in den 360°-Räumen deshalb überzeugender zu wirken, da sie genau jene nicht aufzulösende Ambiguitäten im Zentrum des Bildes verhandeln, die andere Icherzählungen gerne kaschieren bzw. ›überspielen‹: Zerrissenheiten zwischen An- und Abwesenheit inmitten der 360°-Bubble sowie Konflikte zwischen techno- und anthropomorphen, humanen und post-humanen (respektive ahumanen) Formen des Wahrnehmens und Erinnerns.[39] Pierre Zandrowiczs I, Philip (Arte VR) sowie Felix Lajeunesses Miyubi (Oculus) etwa arbeiten mit Icherzählungen aus Roboterperspektiven: einem Modellandroiden, der Philip K. Dick imitiert, und einem japanischen Spielzeugroboters, der im Jahr 1982 einem kleine Jungen in einem amerikanischen Suburb zum Geburtstag geschenkt wird. Auch jene 360°-Filme, welche die Zuschauerin über den eigenen (Nicht-)Status in der Diegese verunsichern und sie somit in einer Zwischenzone zwischen fort und da situieren, wären ein ausbaufähiges Subgenre, das vorläufig noch von allzu konventionellen Geisterbahn-Plots und vorhersehbaren Umschlagpunkten im Zaum gehalten wird. Ein beliebtes Spiel in unzähligen Horroclips etwa ist, die Zuschauerin zunächst in die Rolle eines unsichtbaren Dritten versetzen, um sie dann mit Stroboskoplicht und Fratzen aus dem Hinterhalt zu überfallen.

Neo-Barock und Aufklärung
Das shot/reverse shot-Verfahren des klassischen Erzählkinos Hollywood’scher Prägung erscheint in zunehmendem Masse obsolet. Filme wie Alejandro González Iñárritus The Revenant (2015) oder Alfonso Cuaróns Roma (2018), Yorgos Lanthimos’ The Favourite (2018) oder Barry Jenkins If Beal Street could Talk (2018) setzen auf informationsdichte widest angle-lenses, elaborierten Surround-Sound (Dolby Atmos) und Plansequenzästhetiken. Steve McQueen bevorzugt in seinen Filmen ebenfalls – an Installationskunst gemahnende – long takes:  So findet sich in Widows (2018) eine ungeschnittene Kamerafahrt, die den Bürgerratskandidaten Jack Mulligan (Colin Farrell) bei der Autofahrt durch Chicagos Armutsviertel bis zurück zu seiner Edelvilla begleitet. Die Kamera ist hierbei auf die Kühlerhaube montiert, filmt gleichzeitig das Innere des Autos wie auch die urbane Umgebung; hierin durchaus mit VR-360°-Filmen wie Marshall from Detroit (2019)[40] vergleichbar. Auch HBO-Serien wie The Wire oder aktuell The Deuce verzichten grösstenteils auf shot/reverse shot-Rhythmen, sondern pflegen einen Hyperrealismus der Details,[41] der sich im Zuge von bodennahen, die Milieus abtastenden, lateralen Kamerafahrten entfaltet.[42] Zu nennen wäre zudem der exzessive Einsatz von 360°-circling shots in Actionfilmen (v.a. von Michael Bay und Tony Scott) oder auch jene Ästhetik der bullet time, bei der ein eingefrorener Zeit-Punkt von einer virtuellen Kamera umkreist wird. Der 360°-Film nimmt sich vor diesem Hintergrund wie eine verdichtende Echokammer dieser Tendenzen aus.

Sean Cubitt hat in seinem Buch The Cinema Effect den Begriff des Neobarocken (Neobaroque) vorgeschlagen, um einen Hollywoodstil vor allem der 1980/90er zu beschreiben, der sich durch folgende Merkmale auszeichnet: eine Dominanz des diegetischen Raums (gegenüber der Zeit) und ein Vorherrschen von Raumdurchquerungen mittels Kamerabewegungen; eine nahezu Aristotelische Einheit von Raum und Zeit;[43] punktuelle Regressionen zu klassischen shot-reverse-shot-Dialogszenen als Ausdruck von stilistischen Unsicherheiten; Narrative, die das Publikum – auch mittels Stereophonie und Multitracking – von Level zu Level oder Milieu zu Milieu lotsen; fluide räumliche Konfigurationen, die subjektiv und objektiv zugleich sind – Cubitt spricht in diesem Zusammenhang von einem »narcissistic space«, der um ein »global consciousness«  und eine »omni-directional sensitivity« des Protagonisten herum organsiert ist.[44] Hinzu kommen Narrative, welche die Filmhelden in Welten und Räumen ›aufwachen‹ lassen, deren Muster und Machinationen sie erst durchschauen müssen, um die eigene Rolle verstehen zu können.[45]

»In the Hollywood baroque […] spatialization takes over from narrative the job of managing the film’s dynamics. Movement here is sculptural, architectural, or geographical rather than temporal, and space itself is malleable. Classical decoupage—establishing shot, two-shot, shot-reverse shot—no longer governs because, with one swooping sequence-shot, we can establish the diegetic space without stabilizing it according to the 180° rule. The entrances into the nightclubs in Pulp Fiction and GoodFellas mobilize the diegetic space itself, much as Gotham City is mobilized in Tim Burton’s Batman. […] the Hollywood baroque needs no subjective alibis to explain its lack of equilibrium. […]
The baroque’s central tendency derives from a parallel genealogy in realist cinema. Coppola’s and Scorsese’s investigations of Italian American culture and Spike Lee’s explorations of African American neighborhood life draw on and extend the realist paradigm, not least because they diminish the role of narrative in favor of exploring the diegesis. These films emphasize the spatial in residual narrative structures […].«[46]

Das Neobarocke meint folglich eine Hybervisibilität und -audibilität des Raums, die nicht nur im gegenwärtigen Kino der extremen Weitwinkel-Aufnahmen, Plansequenz-Ästhetiken und Dolby-Surround-Techniken eine Zuspitzung erfährt, sondern auch im 360°-Format neue Facetten entfaltet: Wir haben es mit ungeschnittenen Szeneneinstellungen zu tun, die der Besucherin Zeit geben, sich im Raum zu orientieren, die eigene Position zu eruieren, bevor sanfte Schnitte und matches on attention Übergänge ins nächste ›Level‹ bahnen. Zur Attraktion schlechthin werden spektakuläre Standpunkte, aussergewöhnliche Vistapoints und schwindelerregende Raumdurchquerungen, die sich an die Tradition von Phantom Rides und Theme Park-Tours anschliessen lassen: einmal dort stehen, wo Ötzi vor tausenden Jahren ermordet und 1991 gefunden wurde (Ötzi – Der Mann aus dem Eis, ARTE 360 VR); die Immersion und Freiheit des free-divings mit legendären Apnoe-Tauchern erleben (Dolphin Man, ARTE 360 VR); wie ein Greifvogel mit Drohnenblick über die bedrohten Regenwälder Brasiliens fliegen (Feast, Within); den status quo vadis der Weltraumforschung aus dem Schutzanzug erleben (Space Explorers, Oculus VR; Am Rande des Weltraums, Arte 360 VR; Home: Immersive Spacewalk Experience; BBC) oder sich  in den Grotten von Chauvet – genauer: deren begehbarer Replik – auf Zeit- qua Raumreise zu den Ursprüngen der Figurenzeichnung begeben (Als die ersten Menschen malten – Die Grotte von Chauvet; Arte 360 VR). Viele VR-Reportagen versprechen ›Teleportation‹, ›experience on demand‹ und ›Augenzeugenschaft‹: ein empathetic understanding am Puls der Zeit, ein ethical gazing im Herz von Krisengebieten.[47] In seiner in Jerusalem gedrehten 360°-Episode Hoffnung (2018) lässt Dany Levy eine Spidercam im Zuge einer längeren Plansequenz entlang eines Seils einen ›Blickwechsel‹ zwischen israelischer Scharfschützenperspektive und palästinensischer Basarperspektive vollziehen.

Wir haben es auch und vor allem mit einer nicht-suspendierbaren Ambiguität zu tun, die der panoramatischen Ästhetik strukturell innewohnt: Einerseits geht es um Point-of-Views und first-person empathetic understanding, andererseits bewohnt man im Herzen dieser Empathie-Versprechen einen radikal technischen, registrierenden und kontrollierenden Blick. ›Aufklärung‹ ist nicht nur ein Begriff aus der philosophischen Tradition, sondern auch ein Begriff aus der militärischen, polizeilichen Arbeit. Das ist spätestens seit Harun Farockis Bilderkrieg (1987) bekannt.[48] Dieselbe Technik also, die das Militär als Instrument der Aufklärung, der mobilen Überwachung und strategischen Kartographie einsetzt,[49] wird von Chris Milk oder Jessica Brillhart als humanistische Wunder- und Empathiemaschine angepriesen. Auf TED bewirbt Chris Milk – wie David Lynch deklarierter Anhänger der Techniken der transzendentalen Meditation – das social sharing von 360°-Views als unverzichtbares technologisches a priori eines neuen Weltfriedens: »VR is a machine, but through this machine we become more compassionate, empathetic, connected, and ultimately we become more human.«[50]

Von der Suture zum Stitching
VR-Brille, Kontroller, Chefsessel: Das Necessaire der VR-360°-Erfahrung, drei Tools, die Kontrolle suggerieren.  Die Userin hält einen ›Kontroller‹ in der Hand. Es geht also auch um ›Souveränitätseffekte‹: die Illusion von Macht und Kontrolle über einen scheinbar transparenten, kohärenten Raum. Transparenz ist ein »codefreier Code«,[51] wie Emmanuel Alloa ausführt: ein Code, der so tut, als gäbe es ihn nicht. Jener Code, der an der Simulation eines transparenten, kohärenten »Weltganzen«[52] in der 360°-VR-Bubble beteiligt ist, ist eine Art Suture 2.0., die nun Stitching heiβt und nicht mehr vom der Zuschauerimagination vollzogen, sondern von einer stitching software geleistet wird: Um aus den Aufnahmen respektive Streams der 36-, 11-, 6- oder 2-Linsen-Systeme[53] das zu errechnen, was dann spherical image oder ›schlicht‹ world heissen soll, muss eine »algorithmische Nähmaschine«[54] in Anschlag gebracht werden. Wesentlicher Bestandteil dieser »Verbergungsästhetik«[55] ist nicht nur das das Kaschieren der Nahtstellen zwischen den Teilbildern, sondern auch die digitale Entfernung jener Spuren, welche die Aufnahmeapparatur in Form von Schatten oder der »nadir footprints« – »the tripod mess at the bottom of your shot«[56] – hinterlassen haben könnte. Diese Retusche hat den Effekt, dass der Blickpunkt oftmals eigentümlich schwebend, entkörperlicht erscheint.

Bemerkenswert ist, dass das, was uns als transparenter, homogener, kohärenter und stabiler Raum eingebildet wird, ein Komposit- und Summationsbild ist. Genau genommen ist das Continuity-System des klassisch-narrativen Kinos mit seinen spezifischen Montagetechniken (Schuss-Gegenschuss usw.) nicht wirklich verschwunden. Kontinuität muss aus der Perspektive von 360° neu gedacht werden, sie hat sich vor allem in Compositing und Stitching verwandelt. So wie schon Cinerama – diese Fusion aus CINEma und PanoRAMA – in den 50er-Jahren mit sichtbaren Nähten zwischen den Teilbildern bei der Projektion zu kämpfen hatte, ist auch das Komfortzonen-Management der 360°-Filme damit beschäftigt, Nähte oder gar offene Wunden zu kaschieren; wobei sich das Compositing nicht auf 360°-Filme beschränkt, sondern schon länger Usus ist. Regisseure wie David Fincher – und sein Cutter Kirk Baxtor – bauen schon seit geraumer Zeit auf Bildkompositionstechniken (wie After Effects, eine Videoschnittsoftware von Adobe Premiere), welche es erlauben, Bilder in Segmente zu zerlegen und wieder zusammenzusetzen. Wir haben es somit mit Bauformen des Raums und Techniken des Multilayering zu tun, die – wie das klassische Continuity-System – im Dienst der Optimierung von reibungs- und nahtloser Narration stehen und dem Zuschauer die Illusion maximaler Kontrolle (qua Rundumschau) über einen scheinbar transparenten, homogenen, nahtlos verfugten Raum einräumen. 

»Here we see the inverse of the monarchical seat in the baroque theatre: everyone occupies that perfect seat, but they must occupy it precisely as defined by the film’s optical system, or suffer the consequent eyestrain«,[57] schreibt Cubitt in »Making Space«. Was Cubitt hier in Bezug auf das Komfortzonen-Management in Avatar (2009) feststellt, kann mutatis mutandis auch für das Compositing der 360°-Räume Gültigkeit beanspruchen. Es geht darum, schizoide Raumstrukturen (schisms) zu vermeiden und die Userin zu trainieren, ›richtig‹ und in bestimmte Richtungen zu sehen, um von inkomfortablen Zonen abzusehen: »[…] layers only rarely function schismatically in digital cinema, where they are the central component in compositing different elements (›plates‹) into a single, coherent image. Coherence of the story-world is the central issue, and a serious technical challenge.«[58]

In ähnlicher Weise wie Noël Burch in Life to those Shadows (1990) für den frühen Film, hat Sean Cubitt in seinem Artikel »Making Space« für die aktuelle screen culture aufgezeigt, welcher Kalkulationen und Strategien es bedarf, um der Zuschauerin einen homogenen, kohärenten Raumeindruck einzubilden, die Risse im Raum zu verfugen und ein mögliches demokratisches Blickregime dadurch zu verhindern, dass ein Blickverhalten vorgeschrieben wird.  

Noch bevor die Userin kraft ihrer Körperbewegungen den Raum durchblättern kann, wird der Spielraum ihrer Bewegungen eingerichtet, abgezirkelt, wohl definiert: mit einer multidirektionalen Aufnahmeapparatur, welche Blickrichtungen, Sichtweiten und Nähe-/Distanzverhältnisse vorsieht, die dann im Stitching nochmals vernäht werden, auf dass nichts den Fugen gerät, herausfällt oder heraussticht, was dem behaupteten homogenen Weltganzen der neobarocken, fensterlosen VR-Blase widersprechen könnte. Fensterlos ist diese Blase vor allem deshalb, da die Userin – wie sie von Chris Milk & Co. entworfen wird – nicht mehr das Gefühl haben soll, durch ein Fenster auf eine Welt zu blicken. Die ideale VR-360°-Besucherin soll das Bewegtbild als total environment erfahren und sich selbst im Zentrum des Geschehens. Ultimative «Präsenz«, »Transparenz», »Empathie« und »Partizipation« werden von den CEO’s der Immersive Content Companies als Alleinstellungsmerkmale der VR-360°-Experience angepriesen. Hierbei wird Partizipation und Präsenzerfahrung mit einem Verschwinden apparativer Einschränkungen angepriesen. Choose your own PoV, your own frame, in a world of potential frames.[59] Man kann die CEO’s der Virtual Reality hierbei durchaus beim Wort nehmen: Fensterlos bedeutet nicht, dass wir durch das Fenster hindurch, hinein in eine unmittelbarere, rahmenlose Erfahrung geklettert sind. Fensterlos bedeutet, dass es schlicht und einfach kein Ausserhalb des Fensterrahmens mehr gibt und die Wahrnehmung vollumfänglich vernäht und zugenäht wird.

De/Stitching
Wenn die »Beschränkungen« und »Hindernisse«[60] eines Mediums (oder Formats) gleichzeitig dessen Möglichkeiten sind, wie das Rudolf Arnheim in seiner Filmtheorie Film als Kunst (1932) bemerkte, und wenn diese Bemerkung Arnheims immer noch Gültigkeit haben könnte, dann lohnt zum Abschluss ein zusammenfassender Blick auf jene Grenzen und Beschränkungen der 360°-Schau, die das Komfortzonen-Management des VR-Contents gerne kaschiert, obwohl gerade in diesen Widersprüchen die Möglichkeiten von 360° liegen könnten. Gemeint sind jene unsuspendierbaren Spannungen, Zerrissenheiten und Kräfteverhältnisse, die im Laufe des Textes immer wieder thematisch wurden: Spannungen zwischen Präsenz und Absenz, Inklusion und Exklusion, Freiheit der Umschau und ›Okkupiertheit‹ des Blicks, zwischen bios und techné, anthropomorphen und technomorphen Anteilen[61] an der panoramatischen Schau; und vor allem auch Spannungen zwischen der behaupteten Homogenität, Transparenz wie Kohärenz des Raums und seiner tatsächlichen Instabilität. Wie gezeigt wurde, ist der 360°-Raum ein hochartifizieller, gemachter und montierter Raum und als solcher hochgradig formbar. Es erstaunt, dass die 360°-Narrative die Formbarkeit und Gestaltbarkeit des Umraums, auch seine schizoide, multiple Strukturierbarkeit – sei es mit Mitteln des Stitching oder der Mise-en-Scène, sei es mit experimentellen Bühnen-Umraum-Architekturen oder computergenerierten Umwelten – kaum zur Entfaltung bringen. Zwar sind hin und wieder sanft-irritierende Überblendstrukturen

(liquid transition effects) zu finden, die für einen kurzen Moment eine irritierende Gleichzeitigkeit von vorher/nachher im zeitlich gespaltenen Raum schaffen.[62] Doch auch dieses Potential des 360°-Formats, verschiedene Zeiten im schizoid strukturierten Rundumraum koexistieren und den Viewer – je nach Perspektive – in verschiedene Raumzeiten blicken zu lassen, wartet noch auf experimentierfreudigeren Zeiten. Von diesen Zeiten träumte schon der Regisseur und Theoretiker Sergej Eisenstein kurz vor seinem Tod in seinem Manifest »Über den Raumfilm« (1947) mit Blick auf 3D, wobei sich das 360°-Format an diese 3D-Träume problemlos anschliessen lässt.

Wofür sich Eisenstein angesichts des ›Raumfilms‹ interessiert, ist das, was ich als mise-en-relief [63] bezeichnen möchte: die Gestaltung von Phänomenen zwischen Fläche und Raum und die Möglichkeiten der Inszenierung von Interaktionen zwischen Bildebenen. Was entstehen soll, ist keineswegs ein homogenes, kohärentes Raumgefüge, sondern ein bis zum Zerreißen und Zerplatzen angespannter Raum, der in isolierte Ebenen, Raumtranchen zerfallen und sich daraus wieder zusammensetzen soll, »über eine wechselseitige kompositorische Berücksichtigung der Gestaltung einer jeden Ebene; […] Eine Einstellung von Typ der Vordergrundkomposition, wie ich sie sehe, ist eigentlich diejenige Extremstufe der Spannung, innerhalb der Einstellung, nach welcher ihr nur noch übrigbleibt, in zwei selbständige […] neue Einstellungen ›zu zerplatzen‹.«[64] Es ist nicht der diegetisch imaginierte Umraum der Einstellungen, der Eisenstein interessiert, das klassische innerdiegetische hors-champ, sondern die Multiplikation der Bildebenen, Perspektiven und Konflikten. Was sich Eisenstein vom Raumfilm erhoffte, war eine Wiedergeburt der kommemorativen Dithyramben des Dionysos-Kult und eine Aufhebung der im bürgerlichen Theater aufgebauten »›psychologische[n] Rampe‹ der Entfremdung zwischen Zuschauer und Schauspieler«.[65] In ähnlicher Weise wie Platons halbierte Kugelwesen sich nach Wiedervereinigung sehnen, wird bei Eisenstein die Wiedervereinigung der getrennten Hälften Publikum /Bild- bzw. Bühnenraum zu einer Sehnsuchtsfigur, die sich an die 360°-Bildräume heranführen lässt. Zwar ist auch dort vollkommene Immersion – im Sinne einer Kopräsenz zwischen Film und Zuschauerin – unmöglich, doch Eisensteins Konzept des Raumfilms meint eben genau keine ›totale Immersion‹, sondern die Einbeziehung der Zuschauerin in Taktilitäten und Intensitäten, Spannungsfelder und Irritationen.

Raum für spannende Irritationen gäbe es in den 360°-Bubbles ausreichend. Warum etwa wird kaum mit Versteckspielen, mit einem Vor- und Hintereinander von Körpern und Formen gearbeitet? Wieso geht es in den nicht-pornographischen 360°-Filmen tendenziell so unkörperlich zu? Warum diese Vermeidung von körperlicher Nähe, die allenfalls als kurzer ›Spezialeffekt‹ zum Einsatz kommt, um der Zuschauerin sogleich Sehnsucht nach Distanz einzuflössen. Wo doch Filmemacher wie Stephen Dwoskin (etwa in Moment, 1970), Michael Glawogger (etwa in seinem 3D-Beitrag zu Kathedralen der Kultur, 2013) oder Peter Ott (in Gesicht und Antwort, 2010) auch mit Mitteln des Nicht-360°-Films längst aufgezeigt haben, welch faszinierendes, sinnlich-herausforderndes Potential in der Zumutung von Intimität und körperlicher Nähe stecken kann oder in Blickstrukturen, die offen lassen, ob und wie genau ich als Zuschauerin in diese Struktur mit eingebaut bin.[66]

Warum nehmen sich die Experimente mit der Verformbarkeit des virtuellen Umraums immer noch so zaghaft aus? Wo doch gerade die Konstruiertheit und Instabilität der 360°-Räume die Möglichkeit böte, die VR-Besucherin eben nicht zweimal in denselben Raum blicken zu lassen, sondern gleichsam ›hinter ihrem Rücken‹ die virtuellen Kulissen still und leise umzubauen. Billy, don’t you turn your back on me!

Fiktionen können Kohärenz herstellen, sie können Kohärenz aber auch auflösen, Widerstände und Risse produzieren. Diese Inkohärenzen tun der Immersion keineswegs Abbruch, sondern können die Zuschauerin herausfordern, eigene Rhythmen der ästhetischen Erfahrung und der körperlichen Aktivität zu finden; so wie die taktile, vom Schnitt erzeugte Zerstreuung, die Buster Keaton in Sherlock Jr. als Gefangener der eigenen Filmprojektion erfährt, sein Immersionserleben nicht stört, sondern verstärkt, da er sich nach jedem Schnitt neu orientieren, d.h. mit den Bildräumen körperlich auseinanderzusetzen muss.

Die Zeit der Rezeption und der Ablauf der Handlung bleiben in den 360°-Filmräumen zwar immer noch vorgegeben – und können von der Headset-Userin allenfalls abgebrochen oder verkürzt werden –, doch der Handlungs(-um-)raum ist bis zu einem gewissen Grad von den Drehbewegungen der VR-Besucherin strukturierbar, auslegbar,[67] im Sinne einer Zerlegung des Umraums in Teilräume und variierende Ansichten mit unterschiedlichen (Sub-)Dauern.

Wenn Maurice Merleau-Ponty in »Das Kino und die neue Psychologie« (1947), dem Gründungsdokument einer Filmphänomenologie, von einer »echte(n) kinematographischen Metrik«[68] schreibt, die sich aus der Montage und den Dauern (durées) der montierten Einstellungen ergeben kann, dann stellt sich auch angesichts der Raum- und Zeitmodulationen im 360°-Film die Frage nach Metrik. Im Unterschied zur ›kinematographischen Metrik‹ ist der Rhythmus der virtuellen 360°-Filme nicht mehr vorrangig Montage-technisch organisiert. VR-360°-Metrik ergibt sich aus dem Zusammenspiel der Dauer einer Einstellung, der Ereignisse im Raum und jener Découpage, die der Zuschauer selbst mit seinen Bewegungen und Blickrichtungen vollzieht. Immer noch begreift das Gros der gegenwärtigen 360°-Narrative diese Auslegung des Raums allerdings kaum taktil und exzentrisch, sondern ausgesprochen statisch. Der 360°-Bildraum wird als zentrierte Erfahrung entworfen, die es durch abgezirkelte Effekte und points of interests zu zähmen gilt. Die Betrachterin soll daran gehindert werden, das zu versäumen, was die dünnbesiedelten Räume der Narration als ›wichtig‹ erachten. Diese übertriebene Kontrolle etabliert letztendlich ein paranoid strukturiertes Sehen, das sich darüber definiert, nichts versäumen zu wollen, weil es sich als all-registrierendes Erfahrungszentrum begreifen soll. Was es bedeuten könnte, nicht mehr souveränes Zentrum inmitten konzentrisch organisierter Narrative zu sein, sondern de-zentriert, aufgefächert zu werden in virtuelle Organe, die sich in mehreren Räumen, Richtungen gleichzeitig befinden, führt uns zum Beispiel der VR-Künstler Paul McCarthy vor, wenn er in seinem psychosexuell aufgeladenen VR-Trip Coach Stage Stage Coach VR experiment Mary and Eve (2017) auf engstem Raum computergenerierte, sich ständig verdoppelnde Wiedergängerinnen aus John Fords Stagecoach auf die Userin loslässt und ein geradezu sadistisches Spiel mit körperlicher Aufdringlichkeit, Beobachtungsdruck, Erniedrigung und Disproportion betreibt. Zu nennen sind auch Jacolby Satterwhites virtuos rhythmisierte, virtuelle queer arenas. Dort kann die Besucherin verloren gehen, ohne den Zwang zu empfinden, alles sehen zu müssen, oder die Angst, etwas zu versäumen. Das Panorama ist frei von Paranoia. Stattdessen verwandelt es sich in ein polyperspektivisches Kaleidoskop, in eine Realität von Relationen, in ein zentrumsloses Gewebe aus Fragmenten und Intensitäten.

»Wie reproduzieren Filme die Welt auf magische Weise? Nicht, indem sie uns buchstäblich in die Gegenwart der Welt bringen, sondern indem sie uns ermöglichen, die Welt ungesehen zu betrachten. Das ist kein Wunsch nach der Macht über die Schöpfung (wie im Fall von Pygmalion), sondern vielmehr ein Wunsch, die Macht nicht zu benötigen […]«.[69] Was der Philosoph Stanley Cavell über die klassische Filmerfahrung schreibt, könnte auch Ausgangspunkt einer Neukonzeption der VR-360°-Filmerfahrung sein: Vielleicht geht es weniger darum, sich im Zentrum eines virtuellen Weltganzen allmächtig zu fühlen, sondern aus eben diesem Zentrum heraus gedreht zu werden, bis es am ›Ende der Suture‹ dann doch keine Rolle mehr spielt, welcher Gegenschuss im Rücken lauert.

Bibliografie

[2] Etienne Souriau: »Die Struktur des filmischen Universums und das Vokabular der Filmologie«, in: montage/av. Zeitschrift für Theorie und Geschichte audiovisueller Kommunikation, 6/2 (1997), 140-157, hier S. 144.

[3] Die Metz’sche Film-Traum-Analogie geht von der Feststellung aus, dass die »motorische Abfuhr« der »psychischen Energie« sowohl im Traum- wie auch im Filmzustand blockiert ist: »Der Filmzustand verwirklicht also, in einem etwas abgeschwächten Ausmaβ, gewisse ökonomische Bedingungen des Schlafs. […] Die psychische Energie, die sich in anderen Fällen des Wachlebens in Handlungen zerstreuen würde, wird beim Kinobesucher jedoch zwangsweise aufgespart.« – Christian Metz: Der imaginäre Signifikant. Psychoanalyse und Kino, Münster 2000, S. 92. [OA 1977] 

[4] »From monumental statuary and triumphal arches to Benjamin’s arcades and the protocinema of railway travel, the stillness of the image and the motion of the body become characteristic forms of modernity. The complementary form, movement of the image and stillness of the body, begins, if we are to believe Boal (1974), in the Greek drama with the distinction between performer and spectator. The protocinemas of the masque, the melodrama, and the magic lantern add the spectacle of technique. Cinema and its associated media merely industrialize the stasis of the audience in the movement of the image. Perhaps one day, perhaps soon, there will be an art of moving bodies and moving images.« - Sean Cubitt: The Cinema Effect, London/Cambridge 2004, S. 6.

[5] Guido Kirsten: »Mise en Scène«, in: Handbuch Filmanalyse, hg. von Malte Hagener und Volker Pantenburg, Wiesbaden 2017. – Vgl. auch: André Bazin: »La technique de CITIZEN KANE«, in: Les Temps Modernes 2/17 (1947), S. 943–949. – André Bazin: Orson Welles, Paris 1950/1972. – Noël Burch: Theory of Film Practice, London 1973. [Frz. OA 1969]

[6] André Bazin: »Plädoyer für Rossellini« [1953], in: Ders.: Was ist Film?, Berlin 2009, S. 391-402, hier S. 396 u. 399.

[7] Béla Balázs: Der Geist des Films, Frankfurt/Main 2001, S. 59. [OA 1930] – Wenn Bálazs des Weiteren schreibt, dass die Zeit, welche die Kamera benötigt, um von einem Gegenstand zum Anderen zu kommen, für uns zu einem Massstab wird, Entfernungen zwischen den Gegenständen zu messen, wird gerade das in den 360°-Räumen erheblich schwieriger; was auch daran liegt, dass die oftmals niedrige Auflösung der Bilder den Blick in verpixelte Zonen nicht mehr feststellbarer Entfernungsunterschiede gleiten lässt.

[8] André Bazin: »Die Entwicklung der Filmsprache«, in: Ders.: Was ist Film?, Berlin 2009, S. 90-109, hier S. 103. (Frz OA 1951/52/55)

[9] Roland Barthes: »In Cinemascope« [1954], in: montage AV. Zeitschrift für Theorie und Geschichte audiovisueller Kommunikation: Roland Barthes’ Schriften zum Film 24/1 (2015), S. 30-32. – Vgl. hierzu Matthias Wittmann: »Das Filmische ohne den Film. Am Nullpunkt des Films selon Barthes«, in: ebd., S. 61–79, hier S. 67f.

[10] Jene Details, die in einer Erzählung »bedeutungslose Flecken« bleiben, antidramatische und »überflüssige Eintragungen« ohne narrative Funktion, sind verantwortlich für das, was Barthes »Wirklichkeitseffekt« nennt.  Guido Kirsten hat auf den Unterschied hingewiesen, der zwischen dem Barthes’schen »Wirklichkeitseffekt« [effet de réel] und dem »Realitätseffekt« [effet de réalité] zu machen ist. Während das Barthes’sche Konzept auf der »Ebene filmischer Formen oder Erzähltechniken« anzusiedeln ist, bezieht sich der Realitätseffekt, wie er u.a. von Michotte und Metz als Kennzeichen des Kinodispositivs in Anschlag gebracht wurde, auf den viel basaleren, phänomenalen und Bewegungs-induzierten Realitätseindruck im Kino. – Guido Kirsten: »Die Liebe zum Detail. Bazin und der ›Wirklichkeitseffekt‹ im Film«, in: montage AV. Zeitschrift für Theorie und Geschichte audiovisueller Kommunikation: Warum Bazin, 18/1 (2009), S. 141–162, hier S. 148. – Roland Barthes: »Der Wirklichkeitseffekt«, in: Ders.: Das Rauschen der Sprache, Frankfurt/Main 2006, S. 164-172. [Frz. OA 1968]

[11] Elsaesser, Thomas: Film History as Media Archaeology: Tracking Digital Cinema, Amsterdam 2016, S. 197.

[12] Jessica Brillhart: »Getting Real with Virtual Reality«,
unter: https://www.youtube.com/watch? v=tQ0clqdPA DA (zuletzt eingesehen: 7.3.2019)

[13] Es war Jean-Luc Godard, der – mit Elie Faure (über Diego Vélazquez) – betont hat, dass es ihm darum ginge, off the mark (à coté de la plaque) zu inszenieren und die Zwischenräume zwischen Personen zu filmen. – Vgl. Jean-Luc Godard: »Rencontre avec une légende«,
unter: https://www.youtube.com/watch?v=_l-uKzP4TCM (00:13:53) (zuletzt eingesehen: 5.3.2019)

[14] Unter: https://medium.com/the-language-of-vr/in-the-blink-of-a-mind-attention-1fdff60fa045 (zuletzt eingesehen: 5.3.2019)

[15] Vgl. Simon Rothöhler: Das verteilte Bild. Stream – Archiv – Ambiente, München 2018, S. 63

[16] Auch wenn es dank 360°-Rundumsicht grossen Spass macht, sich in den prächtig ausgestatteten, zum Teil in LA-basierten Pornodreh-Wohnungen umzusehen, ist der Grossteil des Content-Publikums dann doch weniger am Möbeldesign interessiert als an den main points of interests: den Körpern in Action.

[17] Nach dem Motto ›Lerne-die-Gefahren-des-Alkoholkonsums-Kennen‹ lässt das moraldidaktische VR-Video Decisions: Party’s Over (Jaunt) den User zwischen den Point-of-Views verschiedener Partygäste wählen, wobei er, je nach decision making via Kontroller, auch eine Vergewaltigung unter Alkoholeinfluss – wechselweise aus Opfer- und Täterperspektive – miterleben kann.

[18] Die grösstenteils computeranimierte VR-Experience Easter Rising: Voice of a Rebel (2017) etwa – von BBC Learning exklusiv für Oculus Rift unter Verwendung der Game Engine Unity produziert (Regie: Oscar Ruby) – markiert mit einem anfänglich hör- wie sichtbaren Tonbanderät und einer schemenhaften Rückenfigur, die am Kamin sitzt, einen point of remembering in der Gegenwart, um von dort aus, unter Inklusion von dokumentarischem Fotomaterial, den User auf eine subjektiv markierte, immersive Reise »through one man’s memory of a very significant event in the history of Ireland and the UK« zu schicken:  »the Easter Rising of 1916«. Strategische Blickbeschränkungen (Irisblenden etc.) und ein Schatten, der in einer kurzen Sequenz auf die Bewegungen des Users reagiert, sollen die Subjektivität der Perspektive verstärken.

[19] In the Eyes of the Animal (2015, Marshmallow Laser Feast/Abandon Normal Devices, R: Barnaby Steel and Robin McNicholas) – sowohl on tour, als Installation, wie auch via Within erfahrbar – schickt den User auf einen animiert-animalischen Trip, der mittels verschiedensten Verfremdungstechniken nicht-menschliche Erfahrungsqualitäten (owl, frog, mosquito, dragonfly) simuliert. Aus der Perspektive einer auf dem Baum sitzenden Eule ist eine aus Punkten sich zusammensetzende Raumkonfiguration zu sehen, die auf die eigenen Bewegungen reagiert und sich ständig neu konfiguriert.

[20] Siehe: http://www.theinvisibleman.film/ (zuletzt eingesehen: 7.3.2019)

[21] … wobei sie sich – anders als Leonard – mit head mounted display vor den Augen nur schwer Notizen machen kann. Das Mitnotieren von 360°-Filmerlebnissen ist vorerst noch eine Kunst höheren Grades; und die Möglichkeit, dokumentierende screen shots oder gar Selfies – gleichsam als unmöglicher Gegenschuss – aus der virtuellen Realität in die ausser-virtuelle Realität hinüberzuretten, technisch noch nicht vorgesehen.

[22] »Do Scope films minimize cutting, as Delmer Daves feared? Yes, and that’s a good thing. An article

signed by Jean Negulesco claimed that now directors can’t hide behind flashy cuts and must learn to dramatize good dialogue and performances more honestly. In shooting The Robe, cinematographer Leon Shamroy discovered, even action scenescan be handled in ›one smoothly flowing, life-like scene [i.e., shot].‹ Although shots would run longer in Scope, Shamroy judged that ›this won’t be apparent to most audiences because any well-edited film seems like one long uninterrupted strip of film anyway.‹ « – David Bordwell: Poetics of Cinema, London 2007, S. 292. 

[23] Rudolf Arnheim: Film als Kunst, Frankfurt a. M. 2002, S. 223. [OA 1932] – Ein weiterer Grund für die zeitweise »Verlangsamung der Erzählung« in (D)3D-Filmproduktionen war der notorische motion blur-Effekt, die Bewegungsunschärfe bei Bewegungen (sowohl der Kamera als auch der Objekte), die erst mit der High Frame Rate von »48 Vollbildern pro Sekunde«, wie sie in The Hobbit: An Unexpected Journey (2012) zum Einsatz kam, vermeidbar wurde. – Georg Seeβlen, »Schöne neue Bilderräume. 10 Thesen zur Entwicklung des 3D-Kinos und darüber hinaus«, in: Jan Distelmeyer, Lisa Andergassen, Nora Johanna Werdich (Hg.): Raumdeutung. Zur Wiederkehr des 3D-Films, Bielefeld 2012, S. 119-131, hier S. 125. – Simon Rothöhler: High Definition. Digitale Filmästhetik, Berlin 2013, S. 43.

[24] Elsaesser hat darauf hingewiesen, dass insbesondere das early cinema voller meta-filmischer Formen der Reflexion interaktiver Zuschauerschaft war. Insbesondere im Genre des sogenannten ›Rube film‹ ging es um Bauerntölpel (country pumpkin), die sich in urbane Kinos verirren und dort die Leinwand mit der Realität verwechseln, d.h. mit den projizierten Diegesen zu interagieren beginnen. Buster Keaton, wie später auch Jean-Luc Godard in Les Carabiniers (1963), scheinen direkt an diese Reflexionsfiguren anzuknüpfen. – Vgl. Elsaesser, Film History as Media Archaeology: Tracking Digital Cinema, a.a.O., S. 191 u. 198.

[25] Dispositive sind dementsprechend als Maschinen der Subjektivierung (subjectivation) zu begreifen. – Vgl. Michel Foucault: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt/Main 1976, S. 287. [Frz. OA 1977] – Vgl. hierzu das Head-Mounted-Display-Spiel Panopticon. Watch or be watched (Panoptic Lab), das die Spielerin in die Rolle einer – von unaufhörlichen Ausbruchsversuchen der Insassen – gestressten bis zunehmend paranoiden Wärterin inmitten eines Gefängnisses in Panopticon-Bauweise schlüpfen lässt (https://panoptic-lab.com/panopticon/).

[26] Die einzelnen Segmente dieses Umraums existieren allerdings nur als performative constructio in actu, das heisst: als instantan für die jeweilige Blickrichtung der Userin errechnete Teilräume, die jenseits ihrer momentanen Gegebenheit (= Errechnetheit), d.h. im relativen Off, keinerlei Stabilität oder Existenz haben.

[27] »Die Leinwand ist nicht ein Rahmen wie der des Gemäldes, sondern eine Abdeckung, eine Maske, die nur einen Teil des Geschehens sehen läβt.« – André Bazin: »Theater und Film«, in: Ders.: Was ist Film?, Berlin 2009, S. 162-216, hier S. 192. [Frz. OA 1951]

[28] Es liessen sich auch Rückbezüge auf Hugo Münsterbergs frühe Filmtheorie Das Lichtspiel. Eine psychologische Studie (1916) herstellen: Angesichts filmischer Techniken wie Parallelmontage, Rückblende und Grossaufnahme lässt Münsterberg die Kamera sogar den Direktiven des Zuschauerbewusstseins folgen und entwirft somit Szenarien, die sich wie Vorwegnahmen virtueller Partizipationserlebnisse im Cyberspace lesen: »Es ist, als wäre die Außenwelt in unser Bewusstsein eingewoben und als sei sie […] selbst in Übereinstimmung mit den jähen Wendungen unserer Aufmerksamkeit oder mit unseren flüchtigen Erinnerungen modelliert worden.« Münsterberg geht also sogar so weit, die Grenzerfahrung an der Schnittstelle Mensch/Maschine aufzulösen und ein vanishing interface zu imaginieren.« – Hugo Münsterberg: Das Lichtspiel. Eine psychologische Studie, Wien 1996, S. 59. [Engl. OA 1916]

[29] Hermann Kappelhoff: »Kino und Psychoanalyse«, in: Jürgen Felix (Hg.): Moderne Film Theorie, Mainz 2002, S. 130-159, hier S. 140.

[30] Jean-Pierre Oudart: »Cinema and Suture«, in: Screen 18/4 (1977/78), S. 36.

[31] Sulgi Lie: Die Auβenseite des Films. Zur politischen Filmästhetik, Zürich 2012, S. 52. 

[32] Ebd., S. 55.

[33] Ebd., S. 14.

[34] Gilles Deleuze: Das Bewegungs-Bild. Kino 1, Frankfurt/Main 1997, S. 32. [Frz. OA 1983]

[35] Ebd., S. 34.

[36] Vgl. Lie, Die Auβenseite des Films. Zur politischen Filmästhetik, a.a.O.

[37] Ebd., S. 10.

[38] Christine N. Brinckmann: »Ichfilm und Ichroman.«, in: Dies.: Die anthropomorphe Kamera und andere Schriften zur filmischen Narration, Aarau/Zürich 1997, S. 82-112, hier S. 98f.

[39] Vgl. die 360°-SciFi-Shorts Fremdkörper (R: Jérôme Blanquet, bei Arte VR.) und Remember (R: George Kacevski, bei Jaunt)

[40] … in dem die Zuschauerin Gelegenheit erhält, von Eminem und Sway Calloway auf eine nächtliche Tour durch deren Heimatstadt Detroit mitgenommen zu werden. 

[41] Vgl. Ekkehard Knörer: »Doppelte Liberalisierung: The Deuce«, in: Cargo. Film/Medien/Kultur 36 (2017), S. 46f. 

[42] Vgl. Daniel Eschkötter: The Wire, Zürich 2012, S. 17.

[43] »[…] not only […] fluid camera movement but flamboyantly crowded mise-en-scènes packed with more incident than any single viewing could take in, held in extravagantly deep focus. […] where the Lumières and all subsequent realists leave space in frame for the contingent, the Hollywood baroque orchestrates the entire fabric of the film.« – Sean Cubitt: The Cinema Effect, Cambridge/London 2004, S. 223.

[44] Ebd., S. 227.

[45] »The effect is to make the narrative, like the diegesis, spatial. Deprived  of causal chains of anything more than pure luck, good or bad, the protagonists have only to understand, as the audience must, their position in the web of events to realize their goal. That goal, however, already exists as the resolution of the riddle of the world they inhabit.« – Ebd., S. 239.

[46] Ebd., S. 224.

[47] Vgl. Welcome to Aleppo (Jaunt), Waves of Grace (Within), Clouds over Sidra (Within), The Displaced (Within), This is Climate Change: Feast (Within), Der stille Hungertod im Südsudan (Arte), Sky News: Migrant Crisis (Jaunt) u.v.m.

[48] Siehe: https://www.harunfarocki.de/de/filme/1980er/1987 /bilderkrieg.html (zuletzt eingesehen: 25.3.2019)

[49] »Mitte der 2000er Jahre noch eng verbunden mit der ersten Bilddatengeneration des Webkartografie-Dienstes Google Street View, begann Immersive Media verstärkt ab 2007 – nach einem auf WikiLeaks detailliert dokumentierten Zerwürfnis mit dem US-Konzern 3 – die 360°-Videotechnologie in marktgerecht zugeschnittene Anwendungsfelder auszudifferenzieren. Außer für zivile Nutzungen […] kam das patentierte Kamerasystem auch während der Besatzung des Irak zum Einsatz. Unter dem eingetragenen Markennamen Patrol View lieferte die Dodeca für die US-Armee eine militärstrategische Kartografie der Straßen Bagdads – ›allowing a ‹you are there› capability to every street corner‹ – und fungierte als mobile Überwachungskamera oder in der Voraufklärung komplexer Delaborierungsoperationen.« – Simon Rothöhler: »Die zwölfte Fläche. Streaming, Mapping, Stitching Places: Zu ›Haiti 360°‹ und ›People’s Park‹«, in: Zfm. Zeitschrift für Medienwissenschaft 11 (2/2014), S. 102-112, hier S. 102.

[50] Chris Milk: »How virtual reality can create the ultimate empathy machine«, unter: https://www.youtube.com/ watch?v=iXHil1TPxvA (zuletzt eingesehen: 15.3.2019)

[51] Siehe hierzu: Emmanuel Alloa: »Der Code der Transparenz«, unter:  https://www.alexandria.unisg.ch/245899/1/ALLOA%20Der%20Code%20der%20Transparenz%20-%C2%A0Goethe-Institut.pdf (zuletzt eingesehen: 20.3. 2019)

[52] In seinem Artikel »Die zwölfte Fläche« bringt Simon Rothöhler das 11-Linsensystems der Dodeca 2360 (Immersive Media) in Dialog mit Platons Timaois, in dem sich die Idee findet, Gott habe für das »Weltganze« die Gestalt eines Dodekaeders, eines Zwölfflächners, vorgesehen. – Rothöhler, »Die zwölfte Fläche«, a.a.O., S. 102.

[53] … sei es die Panono Panoramic Ball Camera (36-Linsen), die Dodeca 2360 von Immersive Technologies (11-Linsen), Insta360 Pro Spherical VR 360 8K Camera (6-Linsen) oder GoPro Fusion, mit zwei Ultra-Weitwinkel-Linsen. – Vgl. hierzu auch: Rothöhler, »Die zwölfte Fläche«, a.a.O., S. 102-112.

[54] Ebd., S. 110. – Zur Arbeit mit Stitching-Programmen vgl. etwa Jason Levine’s »How to Edit 360/VR Video in Premiere Pro CC 2017«, unter: https://www.youtube.com/watch?v=-xNeooQ8tAE.

[55] Lie, Die Auβenseite des Films, a.a.O., S. 48.

[56] Siehe hierzu: https://www.youtube.com/watch?v=auwQdE_jct0 (zuletzt eingesehen: 10.3.2019)

[57] Sean Cubitt, »Making Space«,
unter: http://sensesofcinema.com/2010/feature-articles/making-space/#7 (zuletzt eingesehen: 10.3.2019)

[58] Ebd.

[59] Jessica Brillhart: »Getting Real with Virtual Reality«,
https://www.youtube.com/
watch? v=tQ0clqdPA DA (zuletzt eingesehen: 7.3. 2019)

[60] Arnheim, Film als Kunst, a.a.O., S. 32.

[61] Christine N. Brinckmann: »Die anthropomorphe Kamera« [1994], in: Dies.: Die anthropomorphe Kamera und andere Schriften zur filmischen Narration, Zürich 1997, S. 277-301.

[62] Verwiesen sei hier auf kurze, transitorische Momente in Fremdkörper (R: Jérôme Blanquet, bei Arte VR), Rhizomat (R: Mona el Gammal, Arte VR) oder Limbo (R: Shehani Fernando, Guardian VR).

[63] Vgl. »›Mise en relief‹ zwischen Fläche und Raum. Zur stratigraphischen Ordnung stereoskopischer Bilder«, in: Ute Holl et al.: Oberflächen und Interfaces. Ästhetik und Politik filmischer Bilder, Paderborn: Fink 2018, S. 139-158.

[64] Sergej Eisenstein: »Über den Raumfilm« [1947], in: ders.: Das dynamische Quadrat: Schriften zum Film, hg. v. Oksana Bulgakova, Leipzig 1988, S. 196–261, hier S. 200 u. 205.

[65] Ebd., S. 243.

[66] Vgl. hierzu: Ekkehard Knörer: »Blicke ohne Hierarchien«, unter: http://www.taz.de/!646908/ (zuletzt eingesehen: 20.3. 2019)

[67] Roland Barthes verwendet den Begriff der Auslegung (frei nach Nietzsche) für den Akt der leserseitigen Strukturierung (einer Struktur): »Dieses neue Vorgehen ist die Auslegung (in dem Sinn, den Nietzsche diesem Wort gab). Einen Text interpretieren heißt nicht, ihm einen [...] Sinn geben, heißt vielmehr abschätzen, aus welchem Pluralen er gebildet ist.« – Roland Barthes: S/Z, Frankfurt/Main 1998, S. 9. [OA 1970]

[68] Maurice Merleau-Ponty: »Das Kino und die neue Psychologie« [1947], in: Dimitri Liebsch (Hg.): Philosophie des Films. Grundlagentexte, Paderborn 2005, S. 70-84, hier S. 78.

[69] Stanley Cavell: »Die Welt betrachtet (Auszüge)« [1971], in: ders.: Nach der Philosophie, Essays hg. von Ludwig Nagl und Kurt R. Fischer, Berlin 2001, S. 129-142, hier S. 141f.